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Wo ins Musical und wo ins Theater? Unsere Ausgehtipps für den Monat Mai

Im neuen Format «Bühnenradar» tragen wir die Bühnen-Highlights für Sie zusammen - zuverlässig, alle zwei Wochen. Wer wissen will, wo das beste Musical läuft, das Kleinod aus der Kleinkunst zu finden ist oder der nächste Theater- und Opernknüller wartet, ist hier richtig.   
Bild: Julia Stephan, Daniele Muscionico, Christian Berzins, Martin Preiser

nach Bizets «Carmen»: Zürich sucht (s)eine Carmen

Wer dieser Tage vergeblich eine Karte für Bizets «Carmen» im Opernhaus Zürich suchte, hat eine Alternative – zumindest auf dem Papier. Das Schauspielhaus Zürich bietet reizvollerweise auch «Carmen» an, allerdings «nach» einer Oper von Bizet. Solcherart Projekte, bei denen ein Theaterregisseur eine Oper auf den Kopf oder sonst wohin stellte, gab es immer wieder mal. Im Theater Neumarkt führte dieser Zugang zu köstlichen Resultaten.

Carmen liegt schon zu Beginn der Aufführung in ihrem Blut.
Bild: Inès Manai/SChauspielhaus

Das Schauspielhaus Zürich überlässt Wu Tsu die grosse Halle im Schiffbau, aber er macht nicht viel aus der reizvollen Vorlage, verpackt «Carmen» in eine unnötige Rahmenhandlung und buchstabiert dann die Oper: Das sieht aus wie in einem guten Kantonsschultheater. Immerhin klingen die zwei Protagonisten so wie im Stadttheater. Nur schade, tönt das Orchester – das Collegium Novum Zürich – durch die elektronische Verstärkung so wie ein altes Küchenradio.

Die Titelfigur wird von drei Personen gespielt – einer unauffälligen Tänzerin, einem starken Schauspieler und einer valablen Sängerin. Warum das so ist, wird nie klar. In der guten alten «echten» Oper zeichneten sich grosse Carmen-Darstellerinnen immerhin dadurch aus, dass sie diese drei Bereiche verbinden konnten. Nun gibt es in Zürich im Opernhaus und im Schauspielhaus «Carmen» zu sehen, doch auch wenn da vier Carmen spielen und singen, ist wenig von dieser Figur zu erfahren. (Christian Berzins)

Schauspielhaus Zürich, Schiffbau: bis 8. Juni.

Rossinis «Wilhelm Tell»: ohne Kitsch und Folklore

Athanasia Zöhrer als Mathilde, Jonah Hoskins als Arnold am Theater St.Gallen.
Bild: Bild: Edyta Dufaj

Der Schweizer Regisseur Julien Chavaz präsentiert am Theater St.Gallen Gioachino Rossinis «Wilhelm Tell» in einer schnörkellosen, sehr nahe an der Musik orientierten Inszenierung. Das zahlt sich aus und rückt einen wunderbar sensiblen Rossini-Klang, den das Sinfonieorchester St.Gallen unter Michael Balke abliefert, ins Zentrum. Die Liebe zum Vaterland und die Liebe zwischen zwei Menschen aus verfeindeten Gruppen, diese beiden Erzählstränge laufen in Rossinis Oper zusammen. Der Regie gelingt es, diese Stränge kunstvoll zu verbinden, um sie dann mehr und mehr zugunsten des Kampfes um die eigene Heimat zuzuspitzen.

Der Chor spielt in dieser kurzweiligen und spritzig wirkenden Inszenierung, die auf Heimatkitsch und Folklore ganz verzichtet, eine tragende Rolle. Und mit den packenden Chorszenen feiert der neue Chorleiter am Theater St.Gallen, Filip Paluchowski, seinen gelungenen Einstand. Leichtfüssig zusammengehalten wird die Produktion auch durch die ansprechenden Auftritte von vier Tänzerinnen. In der Co-Produktion des Theaters St.Gallen mit der Irish National Opera und der Nouvel Opéra Fribourg macht die durchgehend überzeugend besetzte sängerische Crew den Abend zu einem echtem Belcanto-Vergnügen. (Martin Preisser)

Theater St.Gallen: bis 3. Juni

Mozarts «Requiem»: Totenmesse als Feier des Lebens

Mozarts «Requiem» am Theater Basel.
Bild: Bild: Ingo Hoehn

Romeo Castelluccis international gefeierte Operninszenierung erzählt Mozarts «Requiem» nicht als Trauerfeier, sondern als eine Hommage an das Leben, an den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. Am Anfang steht ein Tod, am Ende strampelt ein Baby auf der Bühne und blickt zufrieden ins Publikum. Wir gehen rückwärts durch die Lebensalter. Aus der Greisin, die sich zum Sterben ins Bett legt, wird eine Frau, dann ein Mädchen.

Dieses Theater ist nicht intellektuell, sondern immer assoziativ. Es geht nicht darum, zu bedauern, was schon alles ausgestorben ist, welche Sprachen, Kulturen und Kunstwerke unwiederbringlich verloren sind. Sondern bewusst zu machen, dass restlos alles, was existiert, irgendwann verschwinden wird. Und gerade dieses Wissen ist für Castellucci ein umso stärkerer Antrieb, das Leben zu feiern.

Der 63-jährige Theatermagier erschafft Bilder von bezwingender Schönheit, von subkutaner Direktheit und archaischer Kraft. Sie können sehr einfach sein, manchmal reicht es, ein Mädchen mit Honig und Blut zu übergiessen. Sie können gewaltig werden, wie am Ende, wenn die ganze gigantische Bühne aufgestellt wird und alles menschliche Tun langsam, aber mit beeindruckender Unerbittlichkeit zu Boden stürzt.

Ivor Bolton, Chefdirigent des Sinfonieorchesters, wirft für die Inszenierung seine Mozart-Kompetenz in die Waagschale, war er doch über zehn Jahre lang in Salzburg beim Mozarteum-Orchester quasi erster Sachwalter dieses Erbes. Er vermeidet Extreme, bleibt aber immer rhetorisch beredt und musikalisch lebendig. (Reinmar Wagner)

Theater Basel. Vorstellungen: Freitag, 17./20.5.

«Dunkler Frühling»: Die Wiederentdeckung der Unica Zürn

Familienaufstellung nach Unica Zürn.  Dominc Huber hat für die Bühne ein Edelbordell gebaut. 
Bild: Bild: Philip Frowein

Diese Wiederentdeckung ist ein Glück! Unica Zürn (1916-1970), die vergessene Autorin und Zeichnerin, Max-Ernst nannte sie «die grösste lebende Dichterin», rückt mit diesem bestürzenden Theaterabend ins Licht. «Dunkler Frühling» heisst der Text über die Schatten einer weiblichen Existenz, den sie ein Jahr vor ihrem Selbstmord schrieb. Der Text ist der Schlüssel zu ihrem Leiden und Leben.

Denn auch Zürns Protagonistin, ein 12-jähriges Mädchen, bringt sich schliesslich um, genau wie die Künstlerin mit einem Sprung aus dem Fenster. Zürn, vom Kreis der Pariser Surrealisten als Muse missverstanden, wird in der Mitte ihres Lebens psychisch krank; auch das namenlose Mädchen wird krank gemacht, ihr Bruder missbraucht sie, ihre Eltern durchziehen die Bühne als reglose, fühllose Hohlkörper. Allein gelassen mit ihrer Sehnsucht scheint ihr die Todessehnsucht die einzige, die sie eigenhändig stillen kann.

Die Bühne dazu ist pervers-perfide: Fleischfarbene Volants und Rüschen, halb Bordell, halb bürgerlicher Edelkitsch. Hunderte kleine Venushügel erkennt, wer kann. Eine Harfenistin traktiert das Instrument, als gäbe es kein Morgen. Madonna wird gespielt, die Überfeministin, doch für das Kind, dem wir beim Untergehen zusehen, ist all das keine Hilfe.

Verstörend ist viel zu klein, um den Eindruck zu beschreiben, den «Dunkler Frühling» in der Regie der rabiat stilisierenden Handschrift von Yana Eva Thönnes hinterlässt. Am anderen Morgen greift man zu einem Buch von Unica Zürn. Ist sie einmal unter der Haut, kommt man von ihr so leicht nicht wieder los. ( Daniele Muscionico)

Theater Neumarkt, Zürich. 16./17./18./19.5..

Musical «Rent»: Rockiger Kampf gegen Aids

Eine moderne Interpretation von Puccinis «La Bohème»: das Musial «Rent» am Konzert und Theater St. Gallen. 
Bild: Bild: Ludwig Olah/Konzert und Theater St. Gallen

Das Musical «Rent» basiert auf Giacomo Puccinis Oper «La Bohème» und erzählt die Geschichte einer Gruppe junger Künstler, die in einer heruntergekommenen Wohnung im New Yorker East Village haust. Es geht um Liebe und Akzeptanz und um die Hoffnung auf Erfolg im Kampf gegen Aids. Erzählt werden die drei Liebesgeschichten dieser New Yorker Bohèmiens in einem New Yorker Hinterhof mit Betonwänden, Graffiti und Feuerleitern (Bühnenbild: Paul Wills).

Der südafrikanische Regisseur Matthew Wild macht am Konzert und Theater St. Gallen daraus einen stimmigen Mix aus intimen Zweierszenen und bunten, fetzigen Choreografien, auch leise Töne bekommen ihren Raum. Die vollständige Kritik lesen Sie hier. (Mirjam Bächtold)

Konzert und Theater St. Gallen, Grosses Haus. 19.5., 20.5., 24.5., 25.5 sowie 8.6.

«Dreigroschenoper» am Theater Basel: So macht Brecht wieder Spass

Ingo Hoehn_Theater Basel_Dreigroschenoper
Bild: Bild: Ingo Hoehn

In Basel sind die Brechte los. Hier eröffnet der grosse B, verkörpert von Basels Schauspielchef Jörg Pohl, auf der grossen Bühne des Theater Basel seine «Dreigroschenoper» mit qualmender Zigarre und Schirmmütze gleich selbst.

Tiefschürfende Charakterstudien haben den Regisseur Antú Romero Nunes noch nie interessiert. Auch in dieser Arbeit, die vor acht Jahren am Thalia Theater in Hamburg zur Uraufführung kam, sucht er einen eigenen, subversiven Zugang. Eine verquere Hommage an die Bühnenkunst ist das, in der es um nichts Geringeres als um Brechts episches Theater geht. Gefragt wird: Wie geht Theater? - oder eben nicht. Jeder Trick wird aufgedeckt, jede Illusion entzaubert. Am Ende weis man nicht mehr, wer hier eigentlich wen zum Narren hält: Das Schauspielensemble den Brecht, der Brecht das Theater oder alle beide das Publikum.

Dem darf das ziemlich egal sein. Denn das sind dreieinhalb kurzweilige Stunden mit köstlicher Unterhaltung, grosser Schauspielkunst mit einem Sound, der mindestens so gut ist wie der Sprechtext. Wer da nicht hingeht, ist selber Schuld. Die vollständige Kritik gibt es hier. (Kathrin Signer)

Theater Basel, Grosse Bühne. 22./25./29.5. sowie 14./16./19.6.

Tanzstück «Fordlandia»: Tanzend Berge versetzen

Dem Gestaltungswillen der Tanzcompagnie aus St. Gallen kann man sich nicht entziehen. 
Bild: Gregory Batardon

Sie strotzen vor Energie in ihren blau schimmernden Unisex-Overalls mit angenähter Umhängetasche. Und in zwei Stunden bringen diese Tänzerinnen und Tänzer des Konzert Theater St. Gallen ganz viel ins Rollen. Ganz so, wie es dem amerikanischen Autobauer Henry Ford vor hundert Jahren vorschwebte, als er am Amazonas ein Stück Land kaufte und mitten im Urwald eine Kautschukplantage samt Mustersiedlung errichtete: Fordlândia.

Fords Utopie einer Modellstadt in der Wildnis scheiterte grandios. Träume aber bewegen, sie können die Wirklichkeit verändern, Und eines ihrer Versuchslaboratorien die Bühne, auf der die Choreografen Frank Fannar Pedersen und Javier Rodríguez Cobos mit «Fordlandia» eine neue Welt erschaffen wollen. «Fordlandia» kommt laut und in grossem Crescendo, mit laut pochendem Herzschlag daher. Man kann sich dem umfassenden Gestaltungswillen kaum entziehen. Hier gibt es die vollständige Kritik. (Bettina Kugler)

Konzert und Theater St. Gallen. 16./18.5. sowie 3./5.6.

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